Die Verlagerung von physischen zu digitalen Vertriebsmodellen ist kein neuer Trend, aber im Jahr 2025 sollte der Schwerpunk komplett auf dem virtuellen Vertrieb liegen. In diesem Artikel besprechen Markus Peter und Miguel Lopez den Einsatz von Augmented Reality (AR) für Produktdemos und Virtual Reality (VR) für Kundengespräche. Die Kernfrage: Wie können Unternehmen ihre Vertriebsprozesse vollständig virtualisieren?

Markus Peter ist Partner bei Etribes. Vor seiner Tätigkeit bei Etribes war er mehr als 20 Jahre auf Unternehmensseite im In- und Ausland tätig. Sein Fokus liegt auf der Unterstützung von B2B-Unternehmen bei der erfolgreichen Transformation ihres Geschäfts, um eine nachhaltige digitale Wettbewerbsfähigkeit aufzubauen und zu verbessern.

Miguel Lopez ist Head of Visualization Management bei PERI Digital. Er ist federführend bei der Etablierung und Weiterentwicklung von PERI's Augmented Reality Lösungen beteiligt, die sich eng an den Bedürfnissen der Kunden und Nutzer orientieren. Er hat seine gesamte Karriere in der Baubranche verbracht und bringt sein Wissen ein, um das PERI XR Ecosystem Angebot präzise zu gestalten.
Markus Peter: Extended Reality Technologien werden seit langem als vielversprechende Zukunftstechnologien angepriesen, doch in der Praxis gab es bisher nur wenige Anwendungsfälle. Warum setzt sich XR jetzt endlich durch?
Miguel Lopez:
Was die Bauindustrie insgesamt betrifft, so hinken wir in Sachen Digitalisierung immer noch hinterher, aber die Dinge ändern sich langsam, da die breite Bevölkerung immer offener für virtuelle Arbeitsräume und realitätserweiternde Gadgets wird. Das Baugewerbe ist zwar in weiten Teilen immer noch eine haptische und analoge Branche, aber es bestand schon immer die Notwendigkeit, Baupläne zu visualisieren und angrenzende Strukturen wie z. B. Gerüste zu modellieren.
Während dies früher sehr stark auf 2D basierte, fand in den letzten 10 Jahren eine natürliche Entwicklung hin zur 3D-Visualisierung statt, da CAD-Software immer leistungsfähiger und zugänglicher wurde. Mein Team bei PERI hat die Aufgabe, den nächsten Schritt zu gehen und 3D in reale Umgebungen mit Extended Reality zu bringen, die sowohl Remote-Virtual-Reality-Demonstrationen als auch Augmented-Reality-Demonstrationen vor Ort über Tablet oder die neuesten AR-Headsets umfassen. Wurde dies anfangs hauptsächlich als Werkzeug für Ingenieure betrachtet, um die technische Konstruktion vor Ort zu unterstützen und zu erleichtern, sehen wir auch eine Verschiebung hin zu einer frühzeitigen Einbeziehung von 3D-Modellierung und Mixed Reality in Verkaufsgespräche, was die Konversionsraten erheblich verbessert und zu einem Hygienefaktor für größere Projekte wird.
Markus Peter: Meint „virtueller Verkauf“, dass die Verhandlungen in Zukunft mit VR-Headsets geführt werden, oder was bedeutet es darüber hinaus?
Miguel Lopez:
Ich glaube fest daran, dass die Technologie nur ein Werkzeug ist und nicht das Ende aller Mittel. Daher denke ich, dass Mixed Reality in naher Zukunft eine wichtige ergänzende Verkaufsfunktion sein wird, aber wir haben nicht das Ziel, persönliche Verhandlungen vollständig zu ersetzen. Der kulturelle Aspekt, sich zusammenzusetzen und Zeit und Mühe zu investieren, um sich zu treffen, kann von der Virtual Reality nicht nachgeahmt werden.
Dennoch verfügen unsere Vertriebsmitarbeiter über ein ganzes digitales Instrumentarium, mit dem sie Strukturberechnungen anzeigen, Anpassungen im Handumdrehen modellieren und die Kundenhistorie überprüfen können, um ihre Wirkung bei Verkaufsverhandlungen erheblich zu verbessern. Diese digitalen Werkzeuge werden sich sicherlich durchsetzen.
Markus Peter: Welche Rolle wird der virtuelle Verkauf in Zukunft spielen? Wird er ein Nischendasein führen? Und wird er den physischen Verkaufsprozess ergänzen oder ihn ersetzen?
Miguel Lopez:
Wie schon erwähnt, wollen wir das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Aber um größere, komplexe Projekte zu akquirieren, ist das Angebot von 3D-Visualisierung und BIM (Building Information Modeling) bereits ein Hygienefaktor. Es gibt auch eine EU-Gesetzgebung, die die Nutzung digitaler Assets für eine bessere Transparenz und Zusammenarbeit in der Bauindustrie vorschreibt, sodass der Wandel auch politisch motiviert ist.
Der größte Beweis für das Konzept sind für mich jedoch die Reaktionen der Kunden, nachdem sie sich zum ersten Mal mit AR- & VR-Technologien beschäftigt haben. Anfangs wird es oft als spielerisches Gadget betrachtet, aber nachdem sie ihr zukünftiges Projekt mithilfe der AR-Technologie auf der Baustelle vor sich gesehen haben, fordern sie es für jedes einzelne zukünftige Projekt an und beginnen sich sogar dafür zu interessieren, wie wir die Technologie weiterentwickeln wollen.
Markus Peter: Welche B2B-Branchen können Ihrer Meinung nach am meisten von der virtuellen Verkaufstechnologie profitieren und warum?
Miguel Lopez:
Ich kann nur für die Bauindustrie sprechen, in der Mixed-Reality-Formate eine Lösung bieten, da Bauprojekte aufgrund ihrer Größe und komplexen Wechselwirkungen eine enge Abstimmung erfordern. Aber wir erleben bereits Überraschungen bei der Nutzung unserer Technologie: Während wir anfangs dachten, dass XR in erster Linie für große AAA-Projekte benötigt wird, kann ich anhand der Architekturmodelle, die in unsere XR-Software hochgeladen wurden, feststellen, dass heute bereits 80% der Anwendungsfälle kleinere Projekte sind - wie Fußgängerbrücken und Wohngebäude. Für diese Kundengruppen kann der Einsatz von Extended Reality in der Verhandlungsphase immer noch einen neuen "Magic Moment" schaffen, der sich zu einem entscheidenden Faktor für die Kundenkonversion und die Markenwiedererkennung entwickelt.
Was virtuelle Vertriebstools im Allgemeinen angeht, so sind sie meiner Meinung nach überall auf dem Vormarsch. Beim Aufbau des digitalen Werkzeugkastens für unsere Vertriebsmitarbeiter lassen wir uns sehr stark von Anwendungen aus allen Branchen inspirieren.
Markus Peter: Wie sehen die Erfolgsgeschichten von virtuellen Vertriebsteams aus? Lässt sich ihr Einfluss quantifizieren?
Miguel Lopez:
Es ist schwierig, den Beitrag von XR zum Verkaufserfolg zu messen, da viele externe Faktoren eine Rolle spielen können, aber in Ländern mit hohen Anpassungsraten sehen wir bereits höhere Erfolgs- und Konversionsraten als in Ländern, in denen dies nicht der Fall ist.
Kleinere Kunden neigen zu einer etwas konservativeren Arbeitsweise und sind daher eher damit vertraut, in einem 2D-Raum zu denken, sodass die Interaktion mit einer 3D-Umgebung in der Regel eine gewisse Eingewöhnungszeit erfordert. Aber man sieht immer wieder, wenn es bei ihnen „klick“ macht und sie plötzlich Lösungen für Probleme visualisiert sehen, die sie vorher nicht verstehen konnten.
Markus Peter: Wie kann ein Unternehmen am besten mit dieser Technologie experimentieren, ohne ein Risiko einzugehen?
Miguel Lopez:
Das Wichtigste ist, dass man klein anfängt. Wählen Sie Ihre Zielprodukte, Ihre Zielgruppe und Ihren Testmarkt aus und entwickeln und iterieren Sie in kleinem Maßstab. Lernen Sie nach und nach und erhöhen Sie die Investitionen und Ressourcen, wenn Sie mehr und mehr Beweise für Ihre Lösung sammeln können.
Außerdem ist es wichtig, eine unabhängige Unit innerhalb des Unternehmens zu schaffen, die schnell arbeiten kann, um das Beste aus einem iterativen Ansatz mit einer „Fail-Fast“-Einstellung herauszuholen - sozusagen eine Start-up-Mentalität innerhalb einer größeren Organisation zu übernehmen. Es ist wichtig, diesen Innovationseinheiten die Freiheit zu geben, zu experimentieren - natürlich innerhalb der Grenzen eines genehmigten Budgets und realistischer Ziele. Und testen Sie Ihre Produkte immer mit Kunden. Immer.
Die größere Herausforderung ist eigentlich die geschäftliche Seite der Dinge. Sobald Sie ein funktionierendes Werkzeug haben, müssen Sie sich Gedanken über die kommerzielle Nutzung und möglicherweise sogar die Monetarisierung machen. Man muss eine Idee in ein Produkt oder eine Dienstleistung umwandeln. Dazu müssen die internen Prozesslandschaft neu definiert und Schulungen durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass das Instrument aktiv genutzt wird, damit es überhaupt eine Chance auf Erfolg hat. Die Menschen davon zu überzeugen, dass eine Verhaltensänderung in ihrer Arbeitsweise erforderlich und für sie von Vorteil ist, ist der schwierige Teil, der oft mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Entwicklung des Tools selbst.