Warum die deutsche Automobil Branche schneller werden muss: „Time to market“ als Innovationstreiber

Fabian J. Fischer, Venture Building Etribes

Über den Autor

Ich bin Fabian J. Fischer, Founding Partner von Etribes. Seit mehreren Jahren berate ich mittelständische Unternehmen sowie DAX-Konzerne in allen Fragen rund um ihre Digitale Transformation. Neben der strategischen Weiterentwicklung von Etribes habe ich 2018 Picea Capital gegründet, eine Risikokapitalgesellschaft, welche sich darauf spezialisiert hat, in Technologie und technologiegestützte Unternehmen zu investieren. Die Weitergabe meiner Erfahrungen liegt mir besonders am Herzen, daher agiere ich ebenso als Mentor und Advisor… oder schreibe ab und zu mal einen Beitrag für den Etribes Blog.

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Venture Building
Innovation

30. August 2022 / Fabian J. Fischer

Ist’s gemütlich auf dem Standstreifen?

Seit ich denken kann, ist die Automobilbranche die dominante Industrie und das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Doch mittlerweile bringt die Wachstumslokomotive nicht mehr genügend Schub aufs Gleis, um weitere Industriezweige zu erschaffen oder anzuschieben.

Eher Standstreifen statt Überholspur: So kann man die Situation der deutschen Automobilbranche bezeichnen. Täglich lese ich neue Nachrichten über kriselnde Autobauer, abweichende langfristige Zielstellungen zwischen Zukunftsfähigkeit und Shareholder Value (siehe Causa Herbert Diess) und vieles mehr.

Die Dominanz der Amerikaner beim E-Motor und die Abhängigkeit von asiatischen Chip-Herstellern sind nur zwei Beispiele, warum ich tausende Arbeitsplätze in der Branche als gefährdet sehe. Kommt diese – zugegebenermaßen besorgniserregende – Entwicklung überraschend? Nein! Welche Gründe und Hindernisse ich sehe, beschreibe ich in diesem Blogbeitrag.

#1 - Die Pandemie hat gezeigt, wie fragil die Automobilindustrie ist

Ja, die Corona-Pandemie hat die Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Das liegt vor allem an der chinesischen Zero-Covid-Strategie und ihrer Auswirkung auf die Lieferketten.

So wurden Arbeiter:innen nicht wegen fehlender Aufträge, sondern wegen fehlender Bauteile in die Kurzarbeit geschickt – laut Branchenexpert:innen geht diese Zahl in die Hundertausende. Um das mit den produzierten Stückzahlen in Verbindung zu bringen: Von Januar bis Ende Mai 2020 sind in deutschen Autowerken nur noch knapp 1,2 Millionen Fahrzeuge gebaut worden – das sind rund 44 Prozent weniger als noch im selben Zeitraum in 2019. Das spürt in erster Linie auch die Zuliefererindustrie. Doch was sind neben der Pandemie die weiteren Gründe für die Krise der Automobilbauer?

Ich sehe eine riesige klaffende Lücke zwischen dem Anspruch der Automobilbauer und der wirtschaftlichen Realität. Die deutschen Autobauer haben es bislang einfach nicht geschafft, die Zeichen der Zeit zu erkennen, aktiv gegenzusteuern und Innovationen mit der nötigen Geschwindigkeit anzugehen. Wenn es doch jemand versucht, wie der ehemalige VW Chef Diess, wird er abgesägt bevor die Früchte seiner Reformbemühungen Früchte tragen können.

Fabian J. Fischer, Venture Building Etribes

“Ich sehe eine riesige klaffende Lücke zwischen dem Anspruch der Automobilbauer und der wirtschaftlichen Realität”

Fabian J. Fischer, CEO Etribes

#2 - E-Autos kommen mehr und mehr – aber deutsche Ingenieurskunst hängt in der Warteschleife

Dass der Absatz von Elektroautos steigt, ist ein Indiz dafür, dass der Markt (lies: die Konsument:innen) für alternative Antriebe – auch dank der staatlichen Förderung – bereit ist.

Porsche ist ein gutes Beispiel für einen Autobauer, der diesen Bedarf erkannt hat. Folgerichtig ist der strombetriebene Taycan derzeit das meistverkaufte Auto der Zuffenhausener. Heißt: Selbst der Markt für Luxus-Stromer ist vorhanden und Kund:innen in diesem Segment sind durchaus bereit, auf ein E-Auto umzusteigen. Aber auch in der gehobenen Mittelklasse legen z. B. VW und Audi nach.

Ein weiterer Grund für die missliche Lage der Automobilbranche sind die irrsinnig langen Produktzyklen der Automodelle. Von der ursprünglichen Idee über Design und Entwicklung hin zur Produktion vergehen durchschnittlich sieben bis acht Jahre. Tesla denkt dabei in viel kürzeren Zeitspannen, entwickelt seine Autos ähnlich wie die Hersteller eines Smartphones und ist im Stande, auf Trends und moderne Entwicklungen viel schneller zu reagieren.

Und darüber hinaus ist Tesla nicht nur so erfolgreich, weil das Unternehmen schnell innoviert und wegweisende Antriebskomponenten baut – sondern, weil der Bestellprozess sehr simpel und das Kundenerlebnis sowohl online wie auch offline beim Händler transparent ist.

Kaufe ich einen Mercedes-Benz in Hamburg, ist der Preis für ein bestimmtes Modell in einer gewünschten Konfiguration ein anderer, als würde ich jenes Paket bei einem Lübecker Händler ordern.

Aus einer Tesla-Brille betrachtet: Bei BMW wird man so schnell nicht erfahren, dass ich die Filiale eines Händlers aufgesucht habe, um mich über ein bestimmtes Modell zu informieren. Diese dazwischen liegende Handelsstufe ist auch der Grund dafür, dass der direkte Handel, also der D2C-Vertriebsweg (Direct-to-Consumer) im Automobilhandel praktisch nicht stattfindet. Hier gehen in meinen Augen erhebliche Absatzpotenziale verloren – auch, weil die Hersteller keine relevanten Daten ihrer Kund:innen sammeln.

#3 - E-Commerce schön und gut, aber „Tech“ sieht anders aus

Die Ansätze, kräftig zu innovieren, sind jedoch vereinzelt erkennbar. Audi ist fortschrittlich unterwegs und stattet einige seiner Modelle im Sinne von „Services on Demand” mit nachträglich zubuchbaren Funktionen wie einem Infotainment-Paket oder LED-Scheinwerfern aus. Bezahlt werden sie über den eigenen Service AudiPay. So ermöglicht Audi seinen Kund:innen, auch nach dem Kauf des neuen Autos weitere Funktionen dazuzubuchen. Bestellung und Bezahlung der On-Demand-Funktionen laufen über das MyAudi-Webportal oder die MyAudi-App.

Auch Mercedes-Benz sperrt das Tor für die Zukunft auf. Die Stuttgarter verpassen ihrer neuen S-Klasse mit erweiterten Funktionen sowie Fahrassistenz-Systemen das „Intelligent Drive Next Level”-Label und halten die Plakette „Made in Germany” damit eindrucksvoll hoch.

Insgesamt aber hängen die deutschen Hersteller der internationalen Konkurrenz noch immer nach, was Innovationen rund ums Auto angeht. Hier braucht es bahnbrechende Erfolge und neue Technologien, die moderne Autokäufer:innen beeindrucken und einen Mehrwert liefern. In Sachen „Tech“ legen Google (mit Waymo), Volvo und Toyota enorm vor. Auch die Visionen von Apple dürften in Wolfsburg und Co. für Schweiß auf der Stirn sorgen.

Industrieerfahrung
statt Theorie: Digitaler
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Venture Building als möglicher Lösungsansatz

Welche Optionen haben die Konzerne noch, um das Ruder rumzureißen? Ich bin der Meinung: Autarke, aus den Auto-Giganten heraus gegründete Start-ups – so genannte Corporate Ventures –, die ein konkretes Ziel verfolgen, können dabei helfen. Solch eine Venture-Building-Strategie könnte zum Beispiel so aussehen:

Venture 1: Drastische Reduzierung der „Time to market“ im Karosseriebau von heute 24 Monaten auf 6 Monate.

Venture 2: Pilot von Vermietung von Werbeflächen im Auto, technisches Setup, Akquise erster Werbekunden und Feldforschung am Kunden.

Ich denke, es wird deutlich, worauf ich hinauswill. Der nötige Wandel muss heute schneller passieren. Das geht nicht durch eine Hauruck-Aktion. Dafür benutzen wir in Hamburg gerne die Analogie der großen Dampfer (Containerschiffe), die den Konzern repräsentieren und der Schlepper, die die Ventures darstellen. Das Containerschiff kann größtenteils ungehindert seine Fahrt fortsetzen und wird von den Schleppern, die ggf. einen anderen Kurs wählen, in seiner Fahrt Stück für Stück korrigiert. Davon erhoffen wir uns vor allem drei Dinge.

Fazit: Ohne Tempo kein Erfolg

Fakt ist: Deutsche Automarken und auch die so wichtige Zulieferbranche tun sich aktuell sehr schwer mit Innovationen. Sie alle müssen sich jetzt schleunigst beeilen, Innovationen – nicht nur im Hinblick auf umweltschonende Antriebe – voranzutreiben und ihre Produkte und Services kundenzentriert zu vermarkten. Corporate Venturing und insbesondere Venture Building können dazu probate Mittel sein.

Stellt sich die deutsche Automobilindustrie jetzt nicht radikal anders auf, kann es in einem Desaster enden. Und dann fallen nicht nur weitere Arbeitsplätze in der Automobilbranche und der Zulieferindustrie weg, sondern auch weitere Stellen in anderen wichtigen Industriezweigen.

Hast du noch Fragen oder Ideen zu dem Thema?